Gestern Abend habe ich wie verabredet mit dem Gutachter das Auto besichtigt. Es stand vor dem Garagentor und wurde vom Dachfirst aus mit einem Scheinwerfer beleuchtet, der den ganzen Hof erhellte. Meinen Fotoapparat konnte gleich wieder wegpacken, die Frau wünschte nicht, dass auf ihrem Grundstück Fotos gemacht werden, auf denen ihr Anwesen wiedererkannt werden könnte. Danach musste ich mich richten, wenn sie das sagt, dann ist das für mich verbindlich.
Das Auto sah erstklassig aus, keine Schrammen, keine Lackschäden, kein Rost. Selbst an den bekannten kritischen Stellen war nichts zu sehen. Bestens restauriert, hätte man denken können.
Mein Gutachter lud einen großen Rangierwagenheber aus und setzte ihn an der rechten Seite an. Dazu muss man wissen, dass der Caprice keine selbsttragende Karosserie hat, sondern einen Profilrahmen, an dem alles verschraubt ist, auch die Karosserie. Während er den Wagen hochpumpte, sah ich, dass sich die Spaltmaße veränderten, sie wurden oben breiter und unten schmaler. Ob das normal ist?
Der Gutachter hatte ein Werkstattrollbrett mit Kopfpolster dabei und rollte sich damit unter den Wagen, ein starke Lampe in der Hand. Dann hörte ich: „Oha! Wie geil sieht das denn aus? Eine Patchwork-Bodengruppe! Sowas sieht man selten!“
Ich holte eine Decke aus meinem GEA und kroch neben dem Gutachter unter den Wagen.
Das war echt heftig. Hier geflickt, da geflickt, die Gummipuffer, mit denen die Karosserie mit den Trägern verschraubt gehört, waren zerbröselt, dafür haben sie Blechlaschen beigeschweißt. Achsaufhängungen, Gelenke, alles mürbe und wackelig. Beide Kardangelenke konnte man von Hand klappern lassen.
Die Reifenflanken waren auf der Innenseite beschädigt, teilweise bis auf die Karkasse, vermutlich durch Bordsteinberührungen. Der Restaurator hat die Reifen auf der Felge gedreht, die Außenseite nach innen, damit die Schäden nicht zu sehen sind, und dann mit Reifenfarbe schwarz angestrichen.
Die Frau hat die Reifenschäden gekannt und gedacht, das wären neue Reifen oder neue gebrauchte, als das Auto von der Restaurierung zurückkam. Sie hat den Restaurator auch noch für die tolle Arbeit gelobt, weil das Auto wirklich aussah wie neu. Wir fragten sie, wer das gemacht hat, und sie erklärte, das sei jemand gewesen, den ihr verstorbener Mann schon lange gekannt hatte. Der arbeitet in Hamburg bei einem großen Gebrauchwagenhändler und macht da die Autos zum Verkauf fertig.
Aha, ein professioneller Gebrauchtwagenaufbereiter, nun wussten wir Bescheid! Ein Fachmann im Umgang mit Spachtel und Lack, einer von denen, die selbst die verwittertsten Farbtöne passend zusammenmischen können. 600 Euro hat die Frau nach eigenen Angaben für die „Restaurierung“ bezahlt. Der Gutachter meinte, eine wirkliche Restaurierung aller dieser Schäden wäre nicht mal für 6000 Euro zu bekommen.
Die Frau war uns gar nicht böse, sie war eher traurig, sie fühlte sich selbst beschissen. Obwohl: zuviel bezahlt hat sie für das, was gemacht wurde, sicher nicht, sie hat einfach diese Schäden nicht gekannt und nur auf das Äußere geachtet.
Damit war der Fall für mich natürlich erledigt. So etwas tue ich mir nicht an. Der Wagen würde mich ja auffressen. Was ich hier geschildert habe, war ja nur das Gröbste. Da war noch viel mehr, was ich in diesem Rahmen gar nicht alles beschreiben kann. Zum Beispiel war das äußere Türblatt der Fahrertür unten vom Türrahmen weggerostet und mit Spachtelmasse angeklebt, und natürlich schön glatt gemacht und Farbe drauf. Und... und... und.
Soviel dazu!