Modernes Auto geht nach Starthilfe einfach aus

Alles was nicht mit dem 626 GE zutun hat

Modernes Auto geht nach Starthilfe einfach aus

Beitragvon commander_keen » Di 9. Nov 2021, 13:52

Habe heute unserem Versuchsauto (BR213) nach zwei Wochen Urlaub Starthilfe geben müssen, weil jemand vergessen hatte, die Messtechnik auszuschalten und das Ding komplett leer war.
1-2min nachdem er lief, habe ich das Massekabel entfernt und... es ging sofort der Motor aus. :shock:

Hab ich noch nie erlebt. Ist das eine Spezialität moderner Autos, wenn die Batterie zu schwach ist? Die Lichtmaschine hätte für die Zündkerzen doch locker genug Saft bringen sollen... (dass sie defekt ist o.ä. halte ich für sehr unwahrcheinlich. Das Ding fährt seit 3 Jahren mit uns rum und hatte letzten Monat erst Service)
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Re: Modernes Auto geht nach Starthilfe einfach aus

Beitragvon Kampfkuchen » Di 9. Nov 2021, 17:20

Ich versuche es mal ausführlich zu erklären, aber aufs notwendigste zu beschränken...

Ein Generator braucht immer ein Magnetfeld um elektrische Energie aus der Umdrehung zu erzeugen. Da gibt es zwei (eigentlich eher eine) relevante Prinzipien die bei Lichtmaschinen zum Einsatz kommen: Permanenterregte (ungeregelte) Lichtmaschinen und Schenkelpolmaschinen (Synchronmaschine mit Gleichspannungserregung - geregelte Lichtmaschine).

Das typischste ist (gerade beim Auto) die geregelte Lichtmaschine, also die Schenkelpolmaschine (https://de.wikipedia.org/wiki/Schenkelpolmaschine)
Eine Schenkelpolmaschine ist quasi ein Drehstrommotor dessen Magnetfeld über eine Gleichspannungsspule im Rotor erzeugt wird.

Das ganze sieht dann in einem Schaltbild so aus:

Bild
Hier sieht man, dass wir drei Wicklungen im Stator haben. Das sind die Wicklungen, die letztlich auch die Energie zum Laden etc bereitstellen. Hier kann aber keine Spannung induziert werden, solange im Rotor kein Magnetfeld durch Gleichspannung aufgebaut wird.

Der Normalfall:
Die Batterie sitzt am Laderegler und kann hiermit die Energie für das Magnetfeld am Rotor bereitstellen (mehr Details im Zusatz 1 weiter unten...)
Dreht jetzt der Motor die Lichtmaschine kann durch das bestehende Magnetfeld im Rotor eine Spannung im Stator induziert werden (physikalische Grundlagen des Elektromagnetismus, nur ein bewegendes Magnetfeld kann in einer Spule eine Spannung erzeugen u.s.w.), durch die Drehbewegung und die drei Spulen haben wir dann am Ausgang der Lichtmaschine (umgangssprachlich) Drehstrom.
Durch den Hilfsgleichrichter kann sich die Lichtmaschine die Energie für die Erregung selbst bereitstellen. Das ist auch der Grund, warum man die Batterie hier abklemmen könnte.

Batterie leer:
Ist die Batterie leer kann vorab kein Magnetfeld aufgebaut werden, bei einer Drehbewegung also auch keine Spannung im Stator induziert werden. Meist ist der Rotor aber leicht magnetisch (magnetisiert quasi) und kann bei einer bestimmten Drehzahl genug Spannung im Stator induzieren um die Hilfsspannung für den Laderegler bereitzustellen, der dann das Erregerfeld aufbaut. Das ist ganz interessant, wenn man das mal mit einer Bohrmaschine probiert, die Lichtmaschine dreht fast ohne Widerstand, bis das Erregerfeld aufgebaut werden kann und bremst dann rapide ab, da nun eine Gegenkraft entsteht - schließt man noch den Ausgang kurz hat man die volle Leistung der Lichtmaschine als Bremsleistung und eine 600W Bohrmaschine dürfte hier komplett versagen.

Kommen wir zum Punkt: Kein oder Defekter Hilfsgleichrichter
Ohne Spannung an B+ gibt es keine Erregung und somit auch keine Energie am Ausgang. Theoretisch könnte jetzt über den Hauptgleichrichter genug Energie über das Bordnetz gehen um den Laderegler zu versorgen, muss aber nicht. Wenn nun noch zusätzlich die Ausgangsspannung an der Lichtmaschine durch die fehlende/defekte Batterie schwankt kann es auch sein, dass das Magnetfeld im Rotor abbricht -> Motor aus, da keine Spannung mehr da.

Ich selbst bin gerade noch etwas am Rätseln wieso die Spannung nicht auch über den Hauptgleichrichter kommen könnte, aber gehen wir mal davon aus, dass es so nicht geht.

Oder:
Da es ein modernes Fahrzeug ist ist hier vielleicht viel mehr Steuertechnik im Einsatz. Keine Batterie -> Schutzabschaltung, da dann die Batterie nicht mehr Puffert/Glättet und man hohe Spannungsspitzen haben kann. Das kann Steuergeräte zerstören. Eventuell wird hier die Erregerspannung auch immer aus der Batterie erzeugt.

Bei der ungeregelten und permanenterregten Lichtmaschine ist es so, dass der Rotor ein Dauermagnet ist. Sobald sich das Ding dreht wird auch eine Spannung induziert. Dafür ist die Spannung sehr abhängig von der Drehzahl des Motors, braucht aber keinerlei fremde Erregung und theoretisch auch keine Batterie.

Aber: Meine Kawasaki hatte eine permanenterregte Lichtmaschine und ging sofort aus, wenn man die Batterie trennte. Dafür ließ sie sich immer anschieben, da keine Fremderregung notwendig.
Meine Suzuki mit geregelter Lichtmaschine bleibt beim Abklemmen der Batterie an, dafür kann man sie mit leerer Batterie nicht mehr anschieben.

Zusatz:
Geregelte Lichtmaschine, Spannungsregelung:
Ist die Spannung am Ausgang des Stators zu hoch verringert der Laderegler die Spannung in der Erregerwicklung, somit ist das Magnetfeld schwächer und die induzierte Spannung im Stator wird ebenfalls geringer.
Andersrum erhöht er die Spannung, wenn der Ausgang des Stators eine zu geringe Spannung aufweist.
Vorteil ist, dass hier immer nur die Energie genutzt wird, die auch benötigt wird. Benötigt man nur 100W, ist auch die bremsende Wirkung der Lichtmaschine bei 100W (+ Verlustleistung).
Ist die Ladespannung zu hoch könnte der Laderegler einen Schluss haben, das Erregerfeld ist immer auf Maximum und die Spannung am Stator immer auf dem Maximum der gerade verfügbaren Energie (Spannung steigt dann solange wie die Drehzahl der Lichtmaschine).
Ist die Ladespannung zu niedrig oder überhaupt nicht vorhanden hat der Laderegler eine Unterbrechung oder der Hilfsgleichrichter ist defekt. Ebenfalls möglich wären abgenutzte Schleifkohlen.

Ganz selten: Defekte Wicklung. Es ist fast immer der Laderegler.

Bei einer ungeregelten Lichtmaschine ist der Innenwiderstand der Spulen am Stator recht hoch, der Blindwiderstand durch die hohe Drehzahl ist auch entsprechend hoch. Hier wird dann einfach die Wicklung kurzgeschlossen, wenn die Spannung zu hoch ist, bis die gewünschte Ladespannung erreicht ist. Das ganze ist einfach und günstig aufzubauen, hat aber einen enormen Nachteil: Man hat immer die volle Energie die bei der Drehzahl verfügbar ist, alles was nicht verwendet wird (zur Ladung, Licht oder was auch immer) wird in Wärme am Laderegler und in der Lichtmaschine umgesetzt. Darum schwimmen ungeregelte Lichtmaschinen bei Motorrädern auch quasi immer im Motoröl mit. Hat die Lichtmaschine 500W, dann gehen hier auch immer die 500W (sofern bei der Drehzahl verfügbar) flöten.

Als kleiner Zusatz: Beim GE hat die Lichtmaschine 1260W, das sind 1,7PS die sie bei Volllast benötigt. Das nur mal am Rande.

PS: Ich hätte vielleicht einen eigenen Beitrag dazu aufmachen können :ugeek: Eigentlich wollte ich hauptsächlich darauf hinaus, dass eine Lichtmaschine bei Drehung nicht prinzipiell Energie liefert.
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Re: Modernes Auto geht nach Starthilfe einfach aus

Beitragvon commander_keen » Di 9. Nov 2021, 21:25

Okay, das kam unerwartet ausführlich. :-D
Muss ich sicher noch drei mal lesen die Tage. xD

Auch die unterschiedlichen Motorradfälle sind interessant.

Danke.
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